Expert Views

Published on Jul 06, 2016

Machine Learning im Krankenhaus

Im letzten Beitrag wurden die Chancen und das Potential von Machine Learning Verfahren in der Forschung aufgezeigt. Die Forschung ist sicherlich ein interessantes Gebiet für Cloud Computing und Machine Learning und nicht minder groß ist die Versuchung bei den Anbietern in den Besitz der Daten zu kommen, um die eigenen Dienste zu erweitern und die Daten dann selbst entsprechend anzubieten. Ein anderes Einsatzgebiet stellen im medizinischen Umfeld Krankenhäuser dar. Die Frage ob und wo Machine Learning im Krankenhaus eingesetzt werden kann oder sollte, beleuchtet dieser Beitrag.

Der öffentliche Druck wächst

Der Druck aus der Wirtschaft und der Gesellschaft nach einer personalisierten Medizin wird zunehmend größer. In Zeiten von Wearables und einer selbst vermessenden Gesellschaft, wird der Ruf nach einer Medizin lauter, die auf das einzelne Individuum ausgerichtet ist. Eine pauschale und generelle Ursachenbekämpfung wird mehr und mehr abgelehnt. Zu recht ist die Frage nach einem personalisierten Gesundheitswesen am Keimen. Beispielsweise sind die Analyse von Blutwerten eines Diabetes-Patienten in der Cloud durch die Auswertung von Millionen von anderen Patientendaten hilfreich, um gezielt mit Hilfe einer Insulinpumpe die individuelle Menge an Insulin zu verabreichen. Und dies auch nur dann, wenn es notwendig ist.

Dies ist sicherlich nur ein Szenario, welches zeigt, wie sinnvoll der Einsatz sein kann. Doch ist es ratsam medizinische Daten von Patienten in der Cloud aufzubewahren, damit die Machine Learning Algorithmen diese auswerten können? Ist damit nicht der Datenschutz auf das Schwerste verletzt? Betroffene Patienten haben in der Regel nichts gegen die Freigabe der Daten. Denn der Nutzen und die Lebensqualität sind umso größer. Es ist sicherlich auch nicht für alle Anwendungsbereiche notwendig die Messergebnisse mit personenbezogenen Informationen zu versehen. Auf der anderen Seite besteht auch die Möglichkeit auf Cloud Plattformen komplett zu verzichten und im eigenen Rechenzentrum Daten zu analysieren. Machine Learning bringt viele Plattformen mit, die auch in den Rechenzentren der Krankenhäuser stehen können und mit immer performanter werdenden Graphikkarten, können selbst spezialisierte Cluster in das Krankenhaus gestellt werden und Deep Learning Verfahren implementiert werden. Damit würden die Daten dann geschützt und nah am Krankenhaus verbleiben, was auch Echtzeitszenarien besser abbildbar macht. An der Carnegie Mellon University forscht man gerade an einem Algorithmus, der die Vorhersage von akuten Herz- oder Atemstillstand anhand von Vitalwerten vorhersagt und damit eine Warnung auslösen kann, bevor der eigentliche Notfall eintritt.

Aktuelle Herausforderungen

Krankenhäuser, ob klein oder groß, haben mehr oder minder moderne Systeme im Einsatz. Die digitale Patientenakte ist im Einsatz und viele Daten können somit von vielen unterschiedlichen Arbeitsplätzen eingesehen oder erfasst werden. Doch die einzelnen Systeme sind zum Teil noch nicht vollständig miteinander verbunden, so dass Daten aus unterschiedlichen Systemen den Mehrwert einer Analyse aktuell noch nicht zulassen.

Die Krankenhausinformationssysteme müssen also zunächst einmal in eine moderne digitale Plattform verschmelzen, damit aktuelle und zukünftige Anwendungsfälle gleichermaßen abgebildet werden können. Dazu werden auf der einen Seite statische Systeme verwendet, die man nicht auf moderne Architekturkonzepte portieren kann bzw. der Hersteller dies noch nicht anbietet. Dem gegenüber muss eine flexible und skalierbare Infrastruktur für dynamische Anforderungen und unterschiedliche Lastszenerien etabliert werden. Die Integration von allen bestehenden Systemen und die Integration neuer Applikationen wird auch notwendig sein, wenn man beispielsweise passende Patienten für eine Studie ausfindig machen möchte.

DynamicvsStatic

Digitale Plattform

Der Patient könnte dann eine Push-Benachrichtigung von passenden Studien auf das Smartphone bekommen, solange er sich im Krankenhaus aufhält oder als registrierter Patient überall auf der Welt eine Nachricht bekommen.

In einigen Krankenhäusern laufen bereits erste Projekte für die Konsolidierung der IT-Landschaft und den Aufbau einer digitalen Infrastruktur, mit der dann Machine Learning ermöglicht werden kann.

Weiterhin würden sich durch die neue Plattform weitere Vorteile für die Krankenhäuser ergeben, wie etwa

  • Vollständige Verfügbarkeit der Diagnoseergebnisse
  • Integration der Daten aus Abteilungssystemen in die elektronische Patientenakte
  • Nutzbarmachung aller Daten auf mobilen Endgeräten (Diagnose, Visite, Therapie)
  • Sektor übergreifende Datenbereitstellung

Ein Beispiel für einen Schritt in die Richtung einer solchen digitalen Plattform ist ein Projekt des ZIM Koop „Gesundheitsnetz Mittelsachsen“ und der Wundambulanz Mittelsachsen. Zusammen mit den wirtschaftlichen Kooperationspartnern, der Vodafone Group Services GmbH, (Business Unit) Cloud & Hosting Services, Segment Public & Health und der Aribyte GmbH, wird versucht, eine wissensbasierte Entscheidungsunterstützung in der Patientenversorgung zu ermöglichen. Im ersten Schritt müssen dazu die Daten aus allen klinischen und ambulanten Systemen zusammengeführt und im nächsten Schritt semantisch angereichert werden. Erst dann kann eine Analyse durch Verfahren des Maschinellen Lernens erfolgen. Die Schaffung einer Plattform und die Aufbereitung der Daten, welches ebenso die Kategorisierung des Datenschutzlevels beinhalten sollte, ermöglicht ebenso, bei Auswahl eines entsprechenden Cloud-Anbieters, die Konformität mit den Datenschutzanforderungen des Bundes und der Länder.

Datenerfassung

Neben den Informationen aus den bestehenden Systemen müssen auch kontinuierlich neue Daten von Patienten, Räumen und medizinischem Personal erhoben werden. Dazu können

  • Sensoren in den Räumen verteilt werden,
  • das medizinische Personal mit Sensoren versehen werden,
  • Patienten mit Analysengeräten versehen werden, die aktuelle Vitalwerte übermitteln.

Die Daten aus den Räumen können die Belegung in Echtzeit anzeigen und ebenso mit Hilfe der Analyse von Raumklima und Bewegungsprofilen die Notwendigkeit der Raumbelegung und der Verunreinigung aufzeigen. Auf einem Dashboard in einer App kann dann gezielt der Raum identifiziert werden, der für eine Operation oder Untersuchung freigegeben werden kann. Sensoren für das medizinische Personal mögen den Betriebsräten sicherlich nicht schmecken, dennoch würden sie eine optimale Prognosekalkulation von Ankunftszeiten in anderen Flügeln oder Stockwerken erstellen können, um einen möglichst reibungsfreien Ablauf und eine möglichst hohe Wahrscheinlichkeit für das Überleben von Patienten gewährleisten zu können. Ein Beispiel wäre, wenn die Vitalwerte eines Patienten die Analyse ergeben, dass ein Herzstillstand droht, der Arzt in der Nähe direkt kontaktiert wird, auf seinem Weg zum Patienten alle Fahrstühle automatisch geschaltet wären und die Reanimationswagen auch schon bereitstehen würden.

Für diese Szenarien, welche nahezu alle bereits jetzt technisch umsetzbar sind, benötigen die Krankenhäuser neben der digitalen Infrastruktur noch eine Netzwerkinfrastruktur, welche die Verfassung von vielen unterschiedlichen Sensoren auf vielen Ebenen innerhalb des Krankenhauses ermöglicht. Dies können WLAN-Netzwerk-Infrastrukturen sein, aber auch Internet of Things (IoT) optimierte Netzwerke, wie z.B. LPWAN (Low Power Wide Area).

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Lernende Systeme

Wenn alle Voraussetzungen für das Erfassen von Daten und der Anreicherung mit den bestehenden Daten aus den Krankenhausinformationssystem getroffen worden sind, lassen sich Machine Learning Algorithmen implementieren.

Mit Hilfe von Entscheidungsbäumen, Regressionen, Clustering Verfahren oder auch neuronalen Netzen lassen sich dann z.B. die folgenden Anwendungsfälle abbilden:

  • Verbrauchswerte ermitteln (Prognose)
  • Medikamente bzw. Auffälligkeiten mit einem bestimmten Medikament identifizieren
  • Krankheiten und deren Ausbreitung schnell registrieren
  • Verhaltensmuster von Patienten oder auch Pflegepersonal analysieren (im ersten Schritt anonymisiert und bei Auffälligkeiten dann gezielt identifiziert)
  • Diagnosen mit Informationen aus dem gesamten Datenbestand eines Krankenhauses unterstützen
  • Suchtverhalten prognostizieren
  • Warnsysteme bei der Behandlung (etwa Unverträglichkeiten)
  • Empfehlung von idealen Medikamenten für den jeweiligen Patienten
  • Vorhersage von wartungsrelevanten Problemen mit klinischen oder ambulanten Geräten
  • usw.

Ausblick

Die Schaffung einer digitalen Plattform als Nährboden von Datenhungrigen Algorithmen des Machine Learning ist unerlässlich. Viele Daten müssen in guter Qualität und Quantität zur Verfügung stellen, damit die Maschine lernen kann und die Ergebnisse von Experten bewertet werden können. Wenn dies einmal geschehen ist, dann ist der nächste Schritt die Einführung von virtueller Realität und der Austausch der Daten mit anderen Krankenhäusern und Forschungsinstituten. So kann der Arzt virtuell bei Operationen unterstützen und die Forschung aktuelles Feedback in die eigenen Algorithmen und Forschungen einfließen lassen.