Expert Views

Published on Jul 31, 2017

United Internet kauft ProfitBricks – Letzte Chance den Cloud-Zug zu erwischen

  • United Internet AG übernimmt deutschen IaaS-Pionier ProfitBricks aus Berlin
  • “echtes”-IaaS-Angebot ergänzt nun 1und1-Portfolio
  • Chancen und Herausforderungen im dynamischen Cloud-Wettbewerb gegen AWS, Telekom und andere Managed Hosting Provider
  • Do´s und Dont´s der Post Merger Integration – Markenerhalt, Investitionen und Partner-Ökosystem

Am 27.07.2017 gab die United Internet AG bekannt, den Berliner Cloud Infrastructure Provider ProfitBricks GmbH zu übernehmen. ProfitBricks bieten seinen Kunden seit 2010 Infrastructure und Platform Services auf seiner Cloud Platform an, die in weltweit 4 verteilten Rechenzentren betrieben wird.

Für Anwender, Partner und Wettbewerber ist dies eine spannende Ankündigung, zählt ProfitBricks doch definitiv zu den deutschen Pionieren im Cloud-Markt. So hat ProfitBricks nicht nur einen eigenen Cloud-Technologie-Stack entwickelt und patentiert, sondern mit über 120 (meist technischen) Mitarbeitern auch ein starkes Cloud Engineering-Team auf- und ausgebaut. In Zeiten, in denen Cloud-Architekten und Cloud Developer händeringend gesucht werden, definitiv ein strategisches Asset.

Doch der Kauf verleitet auch zu Spekulationen. So fragte man sich schon lange, wie kleinere und weniger finanzstarke Cloud Provider à la ProfitBricks gegen die Multi-Millionen Dollar-Investments von AWS, Azure, Google oder auch der Deutschen Telekom mit ihrer OTC-Cloud bestehen wollen. Ein berechtigte Frage, ist doch das Evangelisieren und die Cloud-Transformation gerade von deutschen Kunden ein anstrengendes und teures Unterfangen. Hier ist es erstaunlich und eine echte Leistung von ProfitBricks, so lange als Startup gegen die globalen Riesen bestanden zu haben. So hat es das Team um Achim Weiss in den letzten Jahren geschafft, eine Basis von über 1.000 Kunden und erste Partner aufzubauen.

Investment These – Cloud-Geschäft in DACH-Region kurz vor dem großen Durchbruch

Doch was sind nun die Überlegungen bzw. die Investment-Story der United Internet AG, die zwar schon seit einiger Zeit eine Beteiligung an ProfitBricks gehalten hat, aber mit der 1und1 Internet SE auch vergleichbare Cloud-Hosting-Angebote im Portfolio führt?

Eingangs muss erwähnt werden, dass United Internet im vergangenen Jahr den Geschäftsbereich der “Business Applications” (zu dem auch das Infrastruktur-/Hosting Business zählt) in eine separate Gesellschaft unter Finanzbeteiligung des Private Equity-Investors Warburg Pincus überführt hat. Die Finanzinvestoren scheinen also vom Wachstumspotenzial überzeugt zu sein und stellen der United Internet-Tochter 1und1 Internet SE entsprechende Mittel für den Ausbau des Firmenkundengeschäfts zu Verfügung.

Ähnlich schätzt Crisp Research die Marktsituation ein. So geben die mittelständischen Unternehmen in Deutschland derzeit immer noch mehr als 80% ihres IT-Budgets “traditionell” aus. Das Wachstumspotenzial für cloud-basierte Infrastruktur-, Plattform- und Hosting-Dienste ist also immer noch enorm. Das unterstreichen die folgenden globalen Marktzahlen sowie auch die immensen Investitionen der globalen Cloud Provider AWS, Microsoft Azure und Google in deutsche Rechenzentren und lokale Vertriebs- und Servicemannschaften sowie Marketing.

Die Mehrheitsübernahme von ProfitBricks folgt also wahrscheinlich folgenden Überlegungen:

  • Starkes Marktwachstum in den kommenden Jahren – im Mittelstand sowie im Enterprise-Markt
  • Mit ProfitBricks hat die 1und1 Internet SE nun eine “echte” Cloud Infrastructure Platform im Portfolio, die im IaaS-Wettbewerb bestehen kann und nicht nur ein umetikettiertes Hosting ist. Bislang hatte 1und1 hier eine klare Lücke und den Cloud-Platform-Angeboten der Konkurrenz wenig entgegenzusetzen
  • Das Engineering-Team um Achim Weiss ist technisch versiert und hat das Potenzial, die ProfitBricks-Cloud Plattform um die notwendigen Innovations- und Plattform-Features zu erweitern (IoT, Container, Serverless…)
  • Sales-Potenzial: Mit den finanziellen Mitteln der neuen Mutter und deren Investoren, besteht die Möglichkeit, Vertrieb und Marketing von ProfitBricks neu aufzustellen und auszustatten, um im Rennen um Marktmacht und attraktive Kunden mithalten und vielleicht sogar vorlegen zu können
  • Hinzu kommt, dass mit dem Näherrücken der europäischen Datenschutzverordnung (GDPR) deutsche Cloud Provider eine echte Alternative zu AWS, Azure und Google darstellen, die zwar formal meist alle juristischen Anforderungen erfüllen, aber vielfach nicht das Vertrauen der Kunden genießen

Strategie und Post-Merger Integrations – Do´s und Dont´s für 1und1

Ob sich die Erwartungen erfüllen und ProfitBricks einen Sprung in die nächste Liga machen und zur 100-Millionen Euro Cloud-Company werden kann, hängt von verschiedenen Faktoren und der Post-Merger Integration ab. Nach einer McKinsey-Untersuchung schlagen ja bekanntlich 70% aller M&A-Deals fehl bzw. erreichen nicht die erhofften Erwartungen.

Bevor es an die Basics der Post-Merger Integration geht, müssen 1und1 und ProfitBricks einige strategische Fragen klären. So wird die Wette nur aufgehen, wenn die Positionierung (z.B. Infrastructure vs. Platform Services, local vs. global…), das Kundenklientel (Kleinkunden vs. Enterprise) und die USPs in einer immer stärker auf Multi-Cloud-Strategien ausgelegten IT-Welt klar sind.

Auch sollte sich das Management gut überlegen, gegen wen man spielt (AWS, Azure, Google oder eher Deutsche Telekom OTC, Host Europe/PlusServer und andere Managed Hosting Provider) und mit wem man spielt. So ist der Auf- und Ausbau eines tragfähigen Partner-Ökosystems elementar für den nachhaltigen Erfolg von ProfitBricks. Zudem sollte man nicht der Illusion unterliegen, nur die kurzfristigen Synergien mit der “großen” Mutter 1und1 Internet SE zu schöpfen. Das angebliche so einfache “Umziehen” von Kunden in die Cloud ist in der Realität mit teilweise hohen Kosten und viel Überzeugungsaufwand verbunden. Auch sind bestehende Hosting-Verträge meist profitabler für den Provider als eine minutengenaue Cloud-Abrechnung nach Verbrauch. Dies sollten sich die großen Hoster bei ihren Cloud-Investitionen gut überlegen.

Darüber hinaus sollten folgende Aspekte bedacht werden:

  • Markenerhalt und Vertrauen: Vorerst sollte ProfitBricks als Marke erhalten und ausgebaut werden, da der Brand für echtes Cloud Computing “made in Germany” steht und von vielen Kunden und Partnern geschätzt wird
  • Investitionen in den Ausbau der Plattform um neue Features (Platform Services, Container, Serverless, IoT etc.) sowie in Marketing und Vertrieb sind unerlässlich, um sich Marktanteile gegenüber den relevanten Wettbewerbern zu sichern
  • Partner & Ökosystem: Mehr Partner im Umfeld der Systemintegratoren, Systemhäuser sowie der Cloud-Beratung / Transition sind auch für ProfitBricks der Schlüssel zum Erfolg. Die Partnerprogramme finanziell auszustatten, kann mit dem Geld der Investoren gelingen, die richtigen Partner zu finden und zu überzeugen, wird Aufgabe des ProfitBricks-Managements sein. Und dies ist nicht zu unterschätzen, da gute Cloud-Partner viele Möglichkeiten haben und derzeit stark umworben sind.

Fazit: Strategische Chance für ProfitBricks

Auch wenn AWS, Azure und Google derzeit den Cloud-Markt dominieren und die Entwicklung innovativer Platform-Dienste komplex und teuer ist, tun sich in den kommenden 3-5 Jahre große Wachstumschancen auch für kleinere Cloud Platform Provider auf. Voraussetzung ist die richtige Strategie und eine kompromisslose Kundenorientierung. Haben Anwender – speziell im Mittelstand – erst einmal Vertrauen in einen Cloud Provider gesetzt und Skills und Prozesse auf dessen Plattform aufgebaut, so besteht die Chance auf eine langfristig profitable Provider-Beziehung. Dies gilt im Übrigen nicht nur für ProfitBricks, sondern auch für alle anderen Cloud Provider, die noch im Rennen um das Infrastruktur- und Plattform-Business sind.

Das Wachstum in den nächsten Jahren speist sich vor allem aus den IoT- und Digitalisierungsaktivitäten der Unternehmen. Hinzu kommt eine sukzessive Verlagerung der Enterprise-IT in die Cloud-Rechenzentren der Provider. So gibt es neben den althergebrachten Namen auch Neueinsteiger in Deutschland wie Alicloud oder Bosch, die mit sehr unterschiedlichen Strategien und Ansätzen an den Markt gehen.